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Wie Feedback dem Leben dienen kann


Mann und Frau trainieren mit Hanteln
In Ausgabe 3-2023 „Visionen für ein besseres Morgen“ beschreibt Al Weckert* im Artikel „Erfolgreich unterrichten und Feedback richtig nutzen“, wie GFK-Trainings durch gezielte Rückmeldungen verbessert werden können. Katrin Gleich, Jg 1964, war 28 Jahre Lehrerin an einer Berufsschule und hat drei Kinder großgezogen. Sie ist GFK-Trainerin (i.Zert.), Consultant, Coach und Mediatorin und seit 1980 im Badischen zu Hause. Die Augenoptikerin, Diplom Ing. Maschinenbau, zählt Feedback als Schwerpunkt ihrer selbstständigen Arbeit.  Sie beschreibt, wie sie Feedback nutzt und feiert.

FEEDBACK ALS GESCHENK FÜR DICH UND MICH 
Erfahrungsbericht als Lehrerin, meine Vision und Erkenntnisse im Zertifizierungsprozess

Inspiriert und überzeugt, meine Expertise zum Thema Feedback in Form eines Artikels zu veröffentlichen, hat mich der Beitrag in der EZ Ausgabe 3/2023 „Erfolgreich unterrichten und Feedback richtig nutzen“ von Al Weckert. Welch Glück, dass es diesen Beitrag gab, weil ich so Kontakt zu einer inneren Sehnsucht in mir bekommen habe – danke Claudia! Mit diesem Artikel möchte ich dieser inneren Sehnsucht Ausdruck verleihen, indem ich den Zusammenhang zwischen Menschlichkeit und wertschätzendem Feedback herstelle.

Erfahrungsbericht als Lehrerin an einer Berufsschule
Als langjährige Lehrerin an einer Berufsschule habe ich persönlich viel Erfahrung mit Feedback. Das Beschäftigen mit diesem Thema, seit ich die GFK 2010 kennengelernt habe, hat in meinem Leben einen Prozess in Gang gesetzt, der mich jetzt im Zertifizierungsprozess weiter als Schwerpunkt begleitet.
Als Lehrerin habe ich zweimal im Schuljahr ein Schüler-Lehrer-Feedback (meist war es anonym) eingeholt. Häufig nahm ich aus Zeitgründen die Vorlagen, die ausschließlich bewertend im Sinne von z.B. Pünktlichkeit, uvm. „trifft voll zu; trifft zum Teil zu; trifft zum Teil nicht zu; trifft gar nicht zu“. Am Ende des Schuljahres war ich verpflichtet, die SchülerInnen zu einer Evaluation des Feedbacks einzuladen. Sie haben darüber abgestimmt, ob die Lehrerin, also ich, die Schüler-Lehrer-Feedbacks ausreichend besprochen hat und ob sich etwas verändert hat. Das Ergebnis wurde anonym mit Klassenbezeichnung bei der Schulleitung abgegeben und vom zuständigen Team aus dem Lehrerkollegium ausgewertet.
Gleichzeitig müssen wir ständig als Lehrerinnen Feedback an die SchülerInnen geben, z.B. bei Präsentationen. In der Regel geschieht das in Form von Bewertungen der Leistung. Die SchülerInnen gaben an ihre KlassenkameradInnen Feedback, das dann mit in die Note eingeflossen ist.
Es hat einige Jahre gedauert, bis mir klar wurde, dass diese Form des Feedbacks nicht den Zweck erfüllt, den ich mir vorgestellt habe. Diese bewertende Art des Feedbacks ist dem Selbstwert nicht förderlich. Umgekehrt trägt eine wertschätzende Art des Feedbacks dazu bei zu ermutigen.

Mit Hilfe der Bücher von Marshall B. Rosenberg habe ich mir erarbeitet, wie sich MBR ein Feedback vorstellt. Lob und Komplimente sind Bewertungen, es geht um wertschätzendes Feedback. Ich will als Feedback-Geberin dazu beitragen, dass die Vortragenden aus dem Feedback etwas lernen. Es geht also darum zu schauen, wie geht’s mir während einer Präsentation, welche Bedürfnisse sind erfüllt und welche sind nicht erfüllt. So weit so gut. Den SchülerInnen die Haltung und erstmal die Gefühle und Bedürfnisse näherbringen, war eine echte Herausforderung, vor allem kostet es Zeit.
Sie haben begonnen, sich mit sich auseinanderzusetzen! Gefühle und Bedürfnisse äußern war für die 16- bis 30-jährigen ein Novum! Ihre eigenen Bedürfnisse ernst nehmen, das war für viele etwas völlig Unbekanntes!
Es ist einigen SchülerInnen schwergefallen, von dem üblichen, erlernten Feedback zu einem wertschätzenden Feedback zu wechseln. Das ist sehr verständlich, hat es bei mir doch über 45 Jahre gedauert!

Eine Situation hat mir die Augen geöffnet:
eine Schülerin hat auf ein bewertendes Feedback reagiert mit: „Das war aber nicht GFK!“
Nach einem kurzen Moment war mir klar, dass sie tief verletzt war.
Mit wertschätzendem Feedback ist die Wahrscheinlichkeit geringer,
dass die Feedback-Nehmende verletzt ist.

 

Interaktives Feedback
Seitdem entwickelte ich ein wertschätzendes Schüler-Lehrer-Feedback. Wie könnte die Frage lauten, um die Wahrscheinlichkeit der Bewertung und damit einer möglichen Verletzung auf meiner Seite zu minimieren?
Rosenberg ging es darum, dass nicht nur Gefühl und Bedürfnis wichtig sind, sondern eben auch die Beobachtung. Was habe ich als Lehrerin gesagt oder getan, dass sich das Bedürfnis nach Lernen, Spaß o.ä. erfüllt oder nicht erfüllt hat?
Das war mein Durchbruch! Einer meiner Schüler nannte das „Interaktives Feedback“, in dem die SchülerInnen bei sich schauen, wie es ihnen im Unterricht gegangen ist, welche ihrer Bedürfnisse erfüllt oder nicht erfüllt waren und was ich als Lehrerin gesagt oder getan habe.
Wow, kann ich nur sagen! Jetzt konnte ich entspannt Feedback einholen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, und – was echt bemerkenswert ist – auch zu jeder beliebigen Unterrichtseinheit, ob zu Beginn des Schuljahres oder die SchülerInnen mich schon „kannten“! Es geht um die Beobachtung, die Gefühle und Bedürfnisse der SchülerInnen! Ich habe jedes Feedback als Geschenk annehmen können! Aus dem Feedback hat sich mein Unterricht weiterentwickelt! Ja, je öfter Feedback eingeholt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer „Verbesserung“ des Unterrichts.

„Feedback“ als Auslöser

Seit ein paar Wochen ist mir klar geworden, dass das Wort „Feedback“ an sich bereits Auslöser für unerfüllte Bedürfnisse sein kann und häufig auch ist. Nicht nur für diejenigen, die Feedback einholen, auch für diejenigen, die Feedback geben, steckt oft die Befürchtung dahinter, die Person zu „bewerten“. Keiner will sich wirklich erlauben, über jemanden zu urteilen.
Warum holen viele LehrerInnen kein Feedback ein? Wie geht’s LehrerInnen, wenn sie verpflichtet sind, Feedback einzuholen? Auch hier steckt die Befürchtung einer Bewertung ihrer Person dahinter! Gesellschaftlich wird die Ablehnung von Feedback mit Unfähigkeit der LehrerIn gleichgesetzt. Opfer im System ist die Menschlichkeit.

Wann fängt die Gesellschaft an, die Lehrenden als Menschen mit ihren Motivationen und Sehnsüchten zu sehen?

Und wie geht’s den Feedback-Gebenden, wenn von ihnen erwartet wird, Feedback zu geben? Wie geht’s den SchülerInnen, wenn sie meinen, dass die Präsentation ihrer Freundin vielleicht „nicht so gut“ war? Wollen sie wirklich dazu beitragen, dass die Note sich wegen ihres ehrlichen Feedbacks verschlechtert? Riskieren, dass sie nicht mehr befreundet sind? Riskieren, als Verräterin dazustehen? Geben sie mit ihrer Strategie ihren Bedürfnissen nach Zugehörigkeit und Freundschaft den Vorrang oder wollen sie beitragen zum Lernen und ehrlich sein? Nett sein vs. Echt sein – das ist hier die Frage!

Widerstand willkommen heißen

Nach vielen GFK-Seminaren und zwei Jahrestrainings ist es mir möglich zu sehen, dass es der Fähigkeit bedarf, mit Giraffenohren nach innen und außen zu hören. Das kann natürlich, je nach Prägung, eine der größten Herausforderungen eines Lebens und zu einem lebenslangen Prozess werden.
Meine Vision ist, dazu beizutragen, dass die Menschen zu einem Bewusstsein gelangen, was der Unterschied zwischen bewertendem und wertschätzendem Feedback ist. Das heißt zu wissen, dass wertschätzendes Feedback zu den Beziehungen gehört, die ich leben möchte. Dann wird auch mancher Widerstand beim Feedbackgeben klar, und ich kann dahinter schauen, welche Bedürfnisse gerade lebendig sind.

Den Unterschied zwischen bewertendem und wertschätzendem Feedback wahrzunehmen, ist für das eigene Verständnis von großer Bedeutung. Welcher Impuls ist bei einem Feedback spürbar? Anhand des 4-Ohren-Modells der GFK ist das im Seminar sehr anschaulich zu demonstrieren.
Wichtig ist die Freiwilligkeit des Feedback-Gebens als auch Nehmens. Der GFK-Prozess gilt für beide Seiten. Das habe ich gerade vorgestern beim GFK-Tag 2023 vom GFK-Netzwerk Karlsruhe erlebt: Eine Teilnehmerin sagte, sie möchte ihr Feedback nicht schriftlich formulieren, sie würde Druck verspüren. Im Giraffentanz haben wir uns so geeinigt, dass sie mir ihr Feedback mündlich gibt und ich es mitschreibe. Unser beider Bedürfnisse nach Leichtigkeit und Beitragen zum Lernen wurden erfüllt.
Die Freiwilligkeit gilt auch für die Feedback-Nehmenden zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt er/sie das Feedback hören möchte. Es geht letztendlich immer darum, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu sein und sich selbst ernst zu nehmen.

Auswertung von Feedbacks

Was nehme ich als Grundlage für Auswertungen – das möchte ich erforschen. Mir ist eine brauchbare digitale Auswertung noch nicht begegnet. Sobald ich eine Skala „von – bis -“ in das digitale System einbaue, geht es um Einteilung in richtig/falsch, angemessen/unangemessen usw.

Die wirklich wichtigen Informationen – in Form von Beobachtungen und erfüllten bzw. unerfüllten Bedürfnissen – fehlen.

Den Feedback-Bogen für die Teilnehmenden zu unserem GFK-Tag und den Workshop-Gebenden habe ich entsprechend meiner Ausführungen entworfen und stehe jetzt vor der Herausforderung, die Ergebnisse auszuwerten. Vielleicht geht es in erster Linie darum zu feiern, zu welchen erfüllten Bedürfnissen wir als TrainerInnen beigetragen haben. Wertvoll sind für die Gestaltung zukünftiger Workshop-Tage, welche Beobachtungen dazu geführt haben. Die Beobachtungen, die zu unerfüllten Bedürfnissen geführt haben, können wir genauso feiern und entsprechend reflektieren. Wir nützen unsere Freiheit das zu nehmen, was wir als sinnvoll erachten.

Das ist mein Forschungsfeld, in dem ich Handlungsbedarf festgestellt habe: die Feedback-Kultur, insbesondere in der Tourismusbranche, der Kultur-Branche, z. B.am  Theater, aber auch in Bildung und Wirtschaft. Warum gibt ein Gast eine schlechte Bewertung ab, obwohl er das schönste Zimmer im Hotel bewohnt hat? Warum ist in der Theaterbranche der Umgangston häufig alles andere als wertschätzend? Feedback ist überall, jede Form von Rückmeldung entspricht Feedback. Das Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse ist meines Erachtens in der Gesellschaft zu stärken! Nun, nicht ohne Grund steigen die Zahlen der Betroffenen mit Burn-out und Depressionen. In den Kliniken lernen die Betroffenen oft erstmals ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und auch ernst zu nehmen. Die eigenen Bedürfnisse im Leben nicht ernst zu nehmen führt häufig zu körperlichen und seelischen Schmerzen! Mein eigener Selbstentwicklungsprozess hat 2010 mit einem Burn-out begonnen. Ich habe an mir erlebt, wie die Haltung der GFK bei mir zu Veränderung und Gesundung beigetragen hat. Seitdem darf ich im Prozess wachsen und sehen, wie ich mich verändere und das einen Einfluss auf meine Umwelt hat.

Feiern und Bedauern

Interaktives Feedback ist für mich ein gegenseitiges Geschenk! Feedback einholen ist ein Geschenk an die Feedback-Gebende. Sie darf mit mir teilen, wie ich zu ihrem Leben beigetragen habe. Und für mich als Feedback-Nehmende ist es ein Geschenk, zu erfahren, wie ich zum Leben der Feedback-Gebenden beigetragen habe.

Nach Marshall B. Rosenberg ist die Rückmeldung grundsätzlich wichtig, egal ob ein Bedürfnis erfüllt oder nicht erfüllt ist.

Was nützt mir das, wenn ich keine Rückmeldung zu einem von mir gekochten Essen bekomme, wenn es Dir nicht geschmeckt hat? Dann koche ich das Essen das nächste Mal wieder genauso! Und mein Bedürfnis nach Sinn und zu Deinem Wohlergehen beizutragen ist nicht erfüllt.

Feedback als Geschenk fühlt sich für mich so an, als würde mein Herz berührt, und das wünsche ich euch allen, auch erfahren zu dürfen. Das ist gelebte Verbindung. Für mich ist das die göttliche Energie, von der Marshall Rosenberg spricht.

Danke an das Team der Empathischen Zeit. Ich bedauere es sehr, dass es keine weitere Ausgabe geben wird, lese ich doch gerne in den Zeitschriften nochmal nach, ohne vor dem Bildschirm zu sitzen. Das hat wohl mit meiner Vorliebe zu tun, mir mit dem Magazin mein Bedürfnis nach Schönheit, Wahlmöglichkeit, Inspiration und Selbstfürsorge zu erfüllen.

Katrin Gleich

Foto@Pixabay@zakmen zakmen

*Info: Der Original-Artikel von Al Weckert kann in der Rubrik Ressourcen heruntergeladen werden.